02.07.2024
Ein genügend grosses Gefäss sein

Ein genügend grosses Gefäss sein

„Lobe den Herrn meine Seele und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat.“

Kürzlich hatte ein lieber Freund Geburtstag. Ich habe ihm gratuliert und ihm meine guten Wünsche für sein neues Lebensjahr geschrieben.

Er ist ein Mensch, der bisher von heftigen Schicksalsschlägen verschont geblieben ist und dies alles andere als selbstverständlich nimmt. Seine Kinder sind gesund und haben sich zu begabten, selbstbewussten und engagierten jungen Menschen entwickelt. Er und seine Frau lieben ihren Beruf und füllen ihn mit grosser Hingabe aus. Es geht ihm und seiner Familie gut.

Und das ist nicht selbstverständlich. Letztes Jahr hatte seine Frau einen Knoten in der Brust ertastet, die Tage der Ungewissheit waren schlimm. Zum Glück haben sich die Befürchtungen nicht bewahrheitet. Im Freundes- und Bekanntenkreis hatten sie tragische Todesfälle zu beklagen, junge Menschen, die viel zu früh aus dem Leben gerissen wurden.

Mein Freund ist jedesmal tief erschüttert und zugleich unglaublich dankbar, für alles, was ihm und seinen Liebsten im Leben geschenkt wird.

Und nun hatte er eben Geburtstag und ich habe ihm gratuliert. Er schrieb mir folgendes zurück: „… Ja, die gute Gesundheit als Rahmenbedingung und die Fähigkeit, genügend grosses Gefäss zu sein, um die vielen Zuwendungen und beglückenden Erlebnisse wahr- und in sich aufzunehmen, sind wohl Voraussetzungen, das Leben dankbar als reich erfüllt zu erfahren!…“

Das hat mich berührt. Ja, wie gross ist unser Gefäss? Wieviel hat da Platz? Mein Freund hat ganz offensichtlich ein richtig grosses Gefäss und sammelt darin jede Kleinigkeit. Jedes gute und freundliche Wort, jede liebevolle Begegnung, jede wohlwollende Rückmeldung, jeden Sonnenstrahl, jedes gelungenes Projekt, jede Joggingrunde, die ihm guttut. Und er sammelt es im tiefen Glauben, dass hinter allem Gott steht, die ihn beschenkt. Hin und wieder quält er sich mit der Frage, warum er so beschenkt ist und andere nicht. Eine Antwort hat er bis heute nicht erhalten. Dabei ist er 61 Jahre alt geworden. Aber bis er eine Antwort erhält, achtet er darauf, dass sein Gefäss gross genug ist, damit er dankbar alles fassen kann, was ihm im Leben geschenkt wird.

Und ich höre ihn singen „Lobe den Herrn meine Seele und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat.“

Sabine Wälchli, Pfarrerin

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